Letztes Semester habe ich angefangen, in Bamberg zu studieren. Der Entscheidungsprozess über meine Zukunft hat sich gezogen. Ich hatte, wie die meisten, in der Schulzeit damit angefangen, mir Gedanken zu machen. Das hieß, dass ich erstmal versucht habe, mir die Entscheidung über die Studienwahl abnehmen zu lassen. Ich fing damit an, mich über die verschiedenen Studiengänge zu informieren und durch zahllose Websites zu scrollen, die mir allesamt einen Plan versprachen. Doch keine hatte ihr Versprechen gehalten.
Nachdem ich alle Möglichkeiten durchgegangen war, hatte ich zwölf weitere Pläne für meine Zukunft. Archäologin, was für ein spannender Beruf! Warum bin ich darauf noch nicht gekommen? Oder Pharmazie! Ich könnte Medikamente entwickeln! Ich könnte mir auch vorstellen, Goldschmiedin zu werden. Oder doch Journalistin… und dann fiel mir wieder ein, dass mich Romanische Sprachen eigentlich auch schon immer interessiert haben.
Also habe ich eine Liste angefertigt mit allen Ideen, die ich hatte. So schnell, wie ich die Liste geschrieben hatte, war alles auch wieder durchgestrichen. Ich realisierte, dass Archäolog*innen meistens auf Baustellen im Sauerland arbeiten und Goldschmied*innen bitter um einen Platz in der Fußgängerzone kämpfen müssen. Kurz: Ich wurde auf den Boden der Tatsachen geholt. Über kurz oder lang musste ich lernen, dass meine Interessen sich nicht immer mit der Aussicht auf einen Traumberuf decken.
Davon frustriert habe ich die Entscheidung aufgeschoben. Ich wusste schon relativ früh, dass ich nach der Schule ein Auslandsjahr machen wollte. Meine Hoffnung war, dass ich dort, überflutet von Eindrücken, Begegnungen, fremder Kultur und ersten Berufserfahrungen, einfach wissen würde, was richtig für mich ist. Ich habe auf eine Eingebung gehofft.
Im Nachhinein bin ich wirklich froh, das Auslandsjahr gemacht zu haben, aber bei der Studienwahl hat es mir nicht geholfen. Stattdessen saß ich in Frankreich, den Kopf voller Dinge, die nichts mit der Zukunft zu tun hatten. Ich war gedanklich sehr auf das Überleben in der Gegenwart ausgerichtet.
Jetzt finde ich, es war naiv zu denken, dass man mir die Entscheidung einfach abnehmen würde. Zum ersten Mal war nicht vom Staat oder den Eltern vorgegeben, was ich mache. Und ich war heilfroh darüber! Aber das Problem war gleichzeitig, dass ich auf einmal selbst dafür verantwortlich war, mein Leben zu gestalten.
Berichte und Werdegänge anderer Leute halfen mir allerdings nach und nach, mit diesen Sorgen und Ängsten umzugehen. Eine gute Freundin von mir konnte mir die Sorge vor einer vermeintlichen Endgültigkeit nehmen. Meine Freundin hatte schon immer fest vor, irgendwann im Diplomatischen Dienst zu arbeiten. Sie hat ihren Bachelor in Politikwissenschaft gemacht. Sie spricht Englisch und Spanisch fließend, ist intelligent, organisiert und wäre bestimmt bis ins Auswärtige Amt gekommen.
Nach dem Bachelor verbrachte sie ein halbes Jahr auf einem Segelschiff und es kam alles anders als gedacht: Sie ist von Berlin nach Rostock gezogen, um Dual Nautik zu studieren. Gerade macht sie parallel zum Studium eine Ausbildung bei dem Unternehmen für Container Transport Hapag-Lloyd. Im vergangenen Jahr hat sie auf verschiedenen Containerschiffen viermal den Atlantik überquert und ist zweimal durch das Rote Meer nach Indien gefahren.
Ich habe sie gefragt, ob sie es manchmal bereut, den Weg, Diplomatin zu werden, aufgegeben zu haben. Daraufhin sagte sie, dass es ihr gar nicht so vorkomme, als hätten sich Türen hinter ihr geschlossen. Vielmehr hätten sich ihr ständig neue Türen geöffnet.
Eine Unsicherheit weniger, trotzdem blieben mir Probleme, die meine Freundin nicht hatte. Sie hatte immer klare Ziele vor Augen, hinter denen ein Beruf stand, auch wenn sich diese änderten. Wenn mich ein Studiengang interessierte, führte dieser nicht automatisch zu einem Beruf, den ich ausüben wollte.
In dieser Hinsicht hatte mich eine Bekannte beruhigt. Sie hat gesagt, ich solle mir nicht so viele Gedanken darüber machen, was nach dem Studium aus mir wird. Am Ende finde jeder seinen Weg. Als sie fertig mit ihrem Biologiestudium war, wusste sie auch nicht, was aus ihr werden würde. Heute ist sie Professorin an der Sorbonne in Paris. Meine Schlussfolgerung: Es ist okay, erstmal nur ein paar Jahre weit zu denken.
Irgendwann entschied ich mich dafür, Psychologie zu studieren. Ich bin bis jetzt sehr glücklich mit meinem Studium, trotzdem denke ich manchmal über was-wäre-wenn-Fragen nach. Habe ich die richtige Entscheidung getroffen? Was wäre, wenn ich mich anders entschieden hätte? Wäre ich vielleicht glücklicher geworden? Wie soll ich auch über meine Zukunft entscheiden, wenn ich noch gar nicht weiß, wer ich eigentlich bin? Wahrscheinlich bedingt sich das gegenseitig – ich werde zu der Person, die ich bin, durch die Entscheidungen, die ich treffe. Aber wer will ich sein? Welche Version meiner selbst? Bin ich überhaupt für das Leben geeignet, das ich mir erträume?
Ich habe leider keine gute Lösung. Und vielleicht braucht es sie auch nicht. Was ich mache, ist es entspannt anzugehen. Statt drohende Niederlagen zu sehen, versuche ich mich auf die vielen Verwirrungen zu freuen, die vielleicht noch kommen werden. Ich glaube, dass das Leben eben so ist: Es kommt sowieso immer anders, als man denkt.