Eine generelle Anwesenheitspflicht an bayerischen Universitäten erklärt das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst mit Artikel 3, Absatz 4 des Bayerischen Hochschulgesetzes (BayHSchG) über die Freiheit des Studiums im Jahr 2013 für rechtswidrig. Die Vergabe von Leistungspunkten ist damit begrifflich nicht an Anwesenheit geknüpft, da dies eine Einschränkung der festgeschriebenen „Freiheit des Studiums“ bedeuten würde. Anwesenheitspflicht gilt nur in Ausnahmefällen, primär für Veranstaltungen, in denen eine Gruppe notwendig ist, um den Kurs abzuhalten. Zum Beispiel bei Mannschaftssportarten, im Orchester oder im Chor. Wird in anderen Fällen die Anwesenheit der Studierenden vorausgesetzt, dann müssen genaue Bestimmungen zum Umfang, zum Feststellungsverfahren der Anwesenheit und zu den Konsequenzen bei nicht zu vertretender Abwesenheit in der entsprechenden Prüfungsordnung dargelegt werden. Im Regelfall ist nach Artikel 3(4) des BayHSchG die Anwesenheitspflicht als Voraussetzung zum Bestehen einer Veranstaltung rechtlich nicht vertretbar, wenn irgendeine andere Prüfungsleistung – beispielsweise ein Referat, ein Essay, eine Klausur oder ähnliches – erbracht werden muss. Soweit das Bayerische Staatsministerium.
Auch die einzelnen Fakultäten der Uni Bamberg haben schon mehrfach offiziell das Bestehen dieser Regelung bestätigt. So veröffentlichte das Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie im Wintersemester 2014/2015 ein Hinweisblatt für alle Studierenden mit dem Wortlaut: „In prüfungsrechtlich relevanten Lehrveranstaltungen, in denen modulnotenrelevante Leistungen zu erbringen sind, gibt es weiterhin keine Anwesenheitspflicht.“
Im Sommer 2015 musste die Universität Bamberg sogar die Regelung zurückziehen, dass im „Transcript of Records“, der Auflistung aller besuchten Veranstaltungen, nur Kurse berücksichtigt werden, bei denen die Teilnehmer regelmäßig anwesend waren. Das Bayerische Wissenschaftsministerium bezeichnete dieses Vorgehen als rechtswidrig, selbst wenn die Teilnehmer für eine Eintragung im Transcript gar keine andere Prüfungsleistung außer der Anwesenheit erbringen mussten.
Und wenn doch, muss diese Anwesenheitspflicht und deren Konsequenzen in der jeweiligen Prüfungsordnung und im Modulhandbuch ausreichend begründet und erklärt werden. In den wenigsten Prüfungsordnungen oder Modulhandbüchern der einzelnen Studienfächer der Uni Bamberg finden sich diese Ausführungen. Trotzdem sieht die Praxis in vielen Veranstaltungen ganz anders aus: Einer Pädagogikstudentin wurde in einem Seminar, in dem sie als Prüfungsleistung am Ende des Semesters eine Hausarbeit abzugeben hatte, eine Anwesenheitsliste vorgelegt und mitgeteilt, dass sie das Seminar nicht bestehen werde, wenn sie mehr als zweimal ohne Attest fehlen würde. In einem anderen Pädagogikseminar sollte eine Studentin, nachdem sie dreimal ohne Attest gefehlt hatte, einen jeweils sechsseitigen Text über die Inhalte der entsprechenden Seminarstunden schreiben, in denen sie abwesend war. Sie weigerte sich und bestand das Seminar nicht – obwohl sie bereits ein 40-minütiges Referat in ebendiesem Seminar gehalten hatte. Nachdem ein Politikstudent seine 15-seitige Hausarbeit abgegeben hatte, bat ihn sein Dozent zu einer persönlichen Besprechung. Dort teilte ihm der Dozent mit, dass er ihn eigentlich wegen seiner seltenen Anwesenheit im Seminar durchfallen lassen sollte und er ihm deswegen nur eine 2,7 statt einer 1,7 gebe. In mehreren Seminaren der Kommunikationswissenschaft wurden laut Studierenden Listen zur Anwesenheitskontrolle mit der deutlichen mündlichen Ankündigung, dass zu häufiges Fehlen negative Auswirkungen auf die Note habe, herumgereicht. Obwohl in diesen Seminaren zum Bestehen sowohl ein Referat als auch eine Hausarbeit erforderlich war. Dasselbe galt für mehrere Germanistik- und Politikseminare des Sommersemesters 2016. Die Dozentin eines Pädagogikseminars im Wintersemester 2016 verlangte von allen Teilnehmern, die zu oft gefehlt hatten, im privaten Gespräch eine zufriedenstellende Begründung für ihre Abwesenheit im Seminar. Dieselbe Dozentin schrieb an eine Studentin, die mit Attest wegen eines Klinikaufenthalts nicht am Seminar teilnehmen konnte, dass sie – solange sie keine weiteren Fehlzeiten habe – das Seminar gerne weiterhin besuchen könne. Allein im Sommersemester kursierten mindestens neun Anwesenheitslisten in verschiedenen Seminaren in denen prüfungsrelevante Leistungen erbracht werden mussten. Die Dozenten begründen dies mit persönlichem Interesse und Evaluationen zur Verbesserung der Lehrveranstaltung.
Natürlich ist es lobenswert, wenn Dozenten private Evaluationen der Anwesenheit in ihren Seminaren durchführen, um die Qualität ihrer Lehrveranstaltungen zu verbessern. Allerdings erscheint es eher unwahrscheinlich, dass erstens so viele Dozenten genug Zeit und Motivation finden, um Anwesenheitslisten lediglich für die eigene Verbesserung zu führen, und dass sich zweitens eben diese Dozenten, ob bewusst oder unbewusst, nicht automatisch von den Anwesenheitsstatistiken der einzelnen Seminarteilnehmer bei der Notengebung beeinflussen lassen. Tatsächlich sind manche Lehrbeauftragte auch auf den Nachweis ihrer anwesenden Studierenden angewiesen, da sie nur nach abgehaltenen Lehrveranstaltungen bezahlt werden und diese durch die Anwesenheitslisten nachweisen. Auch lässt sich über den Sinn dieser gesetzlichen Regelung der Anwesenheit an bayerischen Hochschulen streiten. Schließlich will niemand vor leeren Sitzreihen stehen. Zudem scheint eine regelmäßige Anwesenheit in vielen Lehrveranstaltungen tatsächlich gewinnbringend für die Studierenden zu sein.